Reisen während Corona: Großer Kulturunterschied zwischen Europa und Japan

Ein halbes Jahr Work & Travel in Japan: Marc Behl hat die Unterschiede der europäischen und japanischen Kultur während der Pandemie hautnah miterlebt.

„Ich möchte eine andere Kultur kennenlernen“, heißt es oft, wenn nach den Gründen für ein Work and Travel Jahr gefragt wird. Doch die beliebtesten Ziele sind nach wie vor Australien, Kanada und die USA. Ist der Unterschied zwischen der europäischen Kultur und der kanadischen oder australischen wirklich signifikant? Darüber lässt sich wohl streiten. Das Argument, eine neue Kultur kennenzulernen, ist hingegen bei einem Jahr in Kolumbien oder Japan deutlich einleuchtender. Denn hier trifft der Abiturient aus Deutschland auf eine Kultur, die sich von unserer grundsätzlich unterscheidet.

Marc Biehl hat sich dazu entschieden, nach einem halben Jahr in Kanada sich ebenfalls auf nach Japan zu machen. Er sagt: „Mein Plan war von Anfang an nicht nur ein Land zu sehen. Ich wollte zwei Länder sehen, eins mit westlicher und eins mit östlicher Kultur. Japan hat mich vor allem aufgrund meiner Faszination für Anime und das japanische Essen gereizt.“

Marc ist Anfang Februar 2020 in Tokyo angekommen. Zur gleichen Zeit gibt es weltweit erste Berichte über den Ausbruch eines Virus auf einem Markt in Wuhan, China. Die Folgen dieser Berichte merkt Marc auf den Straßen Tokyos. Er sagt: „Man hat gemerkt, wie sich die Straßen leerten. Die Menschen sind von sich aus schon zu Hause geblieben.“ Doch der Unterschied zur Normalität war Marc nicht bewusst.

Shibuya Crossings in Tokyo: Anfang Febraur als noch wenig über das Virus bekannt war

Statt Regeln gibt’s Empfehlungen

Bei einem Besuch von „Shibuya Crossings“ wird ihm dies klar. Er erinnert sich: „Ein paar Japaner haben uns erzählt, dass normalerweise noch mehr los ist.“ Im Normalfall überqueren Tausende Menschen die Kreuzung in Tokyos Innenstadt, an diesem Tag waren immer noch Hunderte Menschen unterwegs. Dass Touristen der Unterschied zur Situation vor Corona nicht auffällt, zeigt die Dimension Tokyos. Dieses Erlebnis hatte Marc im März noch vor den ersten Empfehlungen der Regierung. Später gab es die dann. Anders als in Deutschland wurden den Bürgern keine Regeln auferlegt – zumindest zum Anfang der Pandemie. Schulschließungen gab es im März 2020 jedoch auch in Japan.

In Fernsehberichten war auch vor der Pandemie zu sehen, dass Japaner Mund-Nasen-Masken tragen. Marc sagt: „Japaner tragen Masken von sich aus, zum Beispiel, wenn sie erkältet sind. Manche tun es sogar aus Schüchternheit. Zum Beispiel, weil sie nicht geschminkt sind.“ Es macht deutlich, dass Japaner viel Rücksicht auf ihre Mitmenschen nehmen.

Ende März wird die Situation auch in Japan ernst. Trotz der Rücksicht der Japaner kommt es durch Empfehlungen der Regierung zu einem Bewusstsein, wie ernst die Lage ist. Schulen werden bis zum Schuljahresende Anfang April geschlossen. In den ersten zwei Monaten arbeitet Marc als Tellerwäscher in einem Hotel. Er sagt: „Die Lage war brisant. Nachdem die Empfehlungen von der Regierung kamen, schlossen Bars und Restaurants. Wenig später sagte unser Chef uns, dass es unsere Entscheidung sei, ob wir Japan verlassen und kündigen. Aufhalten würde er uns nicht.“

Rückkehr nach Deutschland ausgeschlossen

Anfang April lag die Inzidenz der Insel bei 2,3 Infizierten pro 100.000 Einwohnern. Deutschland steckte zum gleichen Zeitpunkt tief im ersten Lockdown. In Deutschland war die Inzidenz bei 44 Infizierten pro 100.000 Einwohnern. Für Marc erschwerte sich die Situation: „Meine Eltern waren zwei der ersten Infizierten in Deutschland. So schloss sich für mich eine Rückkehr nach Deutschland zu dem Zeitpunkt aus. Stattdessen blieben fast alle meine Freunde – auch ich.“

Viele “Work and Traveller”, die genauso wie Marc in Japan blieben, wollten die Chance nutzten, sich das Land anzuschauen. Zwar schlossen die meisten Attraktionen und Sehenswürdigkeiten in Tokyo, aber Tempel, Schreine und Gartenanlagen blieben offen. Marc erklärt: „Das liegt daran, dass Tempel eine religiöse Bedeutung für die Menschen in Japan haben.“ Marc verließ Tokyo, die 38-Millionen-Einwohnerstadt. Das nächste Ziel war Kyoto. Die Stadt im Südwesten des Landes war zwischen 794 bis 1868 Sitz des kaiserlichen Hofes von Japan.

Eine einmalige Gelegenheit

Eines der Highlights eines jeden Besuches in Kyoto ist der Kiyomizu-dera. Der Tempel wurde im Jahr 1633 gebaut. Er ist Teil des buddhistischen Saigoku-Pilgerweges, einer der zwei wichtigsten Pilgerwege Japans. „Als wir da waren, war es menschenleer. Sonst ist es dort brechend voll. Wir hatten das Glück, uns dieses Highlight ohne Touristen anzuschauen. Ein unglaubliches Erlebnis, dass man nur einmal im Leben hat“, sagt Marc.

Ein weiteres Highlight von Marcs Zeit in Japan war die Insel Okinawa. „Wenn man möchte, die Urlaubsinsel Japans“, sagt Marc. Okinawa liegt im Süden Japans und war trotz Corona für Touristen geöffnet. Für Marc war es das Naturhighlight seiner Japan-Reise. Er sagt: „Die Nordhälfte der Insel ist ein Dschungel. An einem Tag war unser Ziel ein Wasserfall. Als wir vom Parkplatz aus dem Weg in den Dschungel folgten, hörte der Weg plötzlich auf. Ein Schild zeigte auf einen Bachlauf. Um unser Ziel zu erreichen, mussten wir im Bach weitergehen. Irgendwann stieg uns das Wasser bis zu den Hüften. Wir mussten unser Handy und unsere Rucksäcke hochhalten. Doch plötzlich schauten wir nach oben und sahen einen wunderschönen Wasserfall über uns.“ Diesem Erlebnis konnte die Pandemie zu diesem Zeitpunkt Marc und seinen Freunden in diesem Fall keinen Strich durch die Rechnung machen.

„Mit 100 Euro muss man schon rechnen“

Marc Biehl

Neben Tempeln und Wasserfällen hat Japan auch kulinarische Highlights zu bieten. Das kulinarische Highlight in Japan ist vermutlich für jeden, der nicht Vegetarier ist, das Kobe-Rind. „Das muss ich auch zugeben, das war schon ziemlich lecker“, sagt Marc. Bei der Frage nach dem Preis für ein Kobe-Steak muss Marc grinsen. Er sagt: „Mit mindestens 100 Euro muss man schon rechnen.“ Im Gegenzug gibt es jedoch einiges für den Preis. Marc erinnert sich: „Jeder Tisch hat seinen eigenen Koch, der dir das Kobe-Rind zubereitet. Bevor es gebraten wird, kann man von der Marmorierung des Fleisches Fotos machen. Anschließend wird es vor dir in der Pfanne klein geschnitten und zusammen mit Gemüse serviert.“ Trotz Pandemie war der Restaurantbesuch für Marc in Osaka möglich. Anders als in Deutschland musste die Gastronomie bis zum Jahreswechsel 2020 nicht schließen. Es blieb bis dahin bei Empfehlungen von der Regierung.

Um sich seine Ausflüge und Restaurantbesuche leisten zu können, musste er zu Beginn seiner Zeit in Tokyo Teller und Gläser polieren. „Zwei Monate habe ich als Tellerwäscher gearbeitet, bis ich gekündigt habe. Ich hatte genug angespart und wollte mir den Rest des Landes anschauen“, sagt er. Dabei spielte ihm ein kleiner Finanz-Boost von der japanischen Regierung in die Karten. Die japanische Regierung unterstützte nicht nur alle Japaner, sondern auch alle ausländischen Gastarbeiter. Für alle ausländischen Arbeiter in Japan gab es eine Einmalzahlung von umgerechnet 750 Euro. „Durch diese Unterstützung und meine Ersparnisse bin ich bis zum Ende der Reise glücklicher Weise locker ausgekommen – ich hatte sogar noch etwas Geld übrig“, sagt Marc.

Zehn Prozent der Japaner spricht Englisch

„Am ersten Tag in Japan habe ich erfahren, dass nur knapp zehn Prozent der Bevölkerung Englisch spricht“, sagt Marc. Bei seinem Job als Tellerwäscher war das kein Problem, aber außerhalb der großen Innenstädte Japans waren die Japanisch-Basics essenziell. Die seien allerdings nicht schwierig zu erlernen, sagt Marc. „Notfalls habe ich auch Mal mein Handy rausgeholt und eine Übersetzungs-App verwendet. Das hat meistens funktioniert“, sagt er. Marc hat dadurch nicht nur seine Englischkenntnisse verbessert, sondern auch die Grundsätze einer komplett neuen Sprache gelernt.

Dass er finanziell keine Probleme hatte, lag auch an den geringen Preisen für Essen, abgesehen vom Kobe-Rind. Marc sagt: „Für Sushi oder Ramen habe ich nicht mehr als zehn Euro bezahlt – inklusive Getränk. Manchmal bin ich sogar mit umgerechnet fünf Euro ausgekommen.“ In Japan gibt es über 40.000 Convenience Stores. Hier kann für den täglichen Gebrauch eingekauft werden sowie die Strom- oder Telefonrechnung bezahlt werden. Ebenso gibt es in den Läden günstiges Essen zum sofortigen Konsum.  

Die zweitteuerste Stadt der Welt

Dass das Essen so günstig war, sei jedoch eine Ausnahme gewesen. Obst und Gemüse seien hingegen sehr teuer, sagt Marc. Tokyo gilt als eine der teuersten Städte der Welt. Die Unternehmensberater Mercer Human Resource Consulting veröffentlichen jedes Jahr die Ergebnisse einer Untersuchung der teuersten Städte weltweit. Verschiedene Faktoren wie Mietkosten oder Lebensmittelkosten werden untersucht. Die Städte werden an insgesamt 200 Kategorien gemessen. In diesem Bericht belegt Tokyo 2019 den zweiten Platz und muss sich nur Hongkong geschlagen geben. 

In Japan hat Marc nur Erdbeeren wie diese gesehen: Perfekt geformt und pures rot.

Marc erinnert sich: „Im Supermarkt haben sieben Erdbeeren sieben Euro gekostet.“ Importierte Lebensmittel sind in Japan sehr teuer. Eingelegte Meeresfrüchte und Fisch ist hingegen günstiger. So kam Marc automatisch mit neuen Gerichten und Lebensmitteln in Kontakt und erlebte die wahre Essenskultur Japans.

„Kunde ist nicht König, sondern Gott in Japan“

Marc Biehl

Auf der anderen Seite ist der Service und die Gastfreundschaft der Japaner Marc besonders positiv im Gedächtnis geblieben: „In Japan heißt es nicht der Kunde ist König, sondern der Kunde ist Gott.“ Dass der Kunde Gott ist, beweist die Einstellung vieler japanischer Mitarbeiter in der Gastronomie: „Der Service in Japan ist nicht zu vergleichen mit Europa oder Amerika. Für eine Packung Äpfel rennt der Mitarbeiter gerne ans andere Ende der Stadt. Leider bemerkst du erst, wie gut der Service ist, wenn du nicht mehr da bist.“

Im Service und der Gastronomie ist Trinkgeld in Japan nicht üblich. Einer der kulturellen Unterschiede zu Europa und Amerika. Hinzu kommt die Ordnung und Hygiene der Japaner. „In Japan gibt es keinen Müll auf den Straßen. Bei uns in Deutschland sind die Straßen schon sehr sauber, aber in Japan ist das noch mal anders“, sagt Marc. 

Kein Nerv für Müll-Bomben

Auffällig dabei ist, dass es in der Öffentlichkeit auf Straßen oder in Parks nur ganz wenige Mülleimer gibt. Grund dafür ist ein Sarin-Gas Anschlag auf die Subway in Tokyo im Jahr 1995: Das Gas wurde in Zeitungen verpackte Plastiktüten in Mülleimer gesteckt. Seitdem wurden fast alle öffentlichen Mülleimer entfernt. „Die Menschen nehmen ihren Müll einfach mit nach Hause und schmeißen ihn dort weg“, sagt Marc. Eine Reaktion, die konsequent, aber wirkungsvoll ist. Marc betont: „Nicht mal Zigarettenstummel liegen auf der Straße.“  

Es steht nicht fest, ob die Konsequenz der Japaner der Grund ist, weshalb Japan nicht so hart von der Pandemie getroffen wurde wie andere Länder. Die geografische Lage der Insel spielte mit Sicherheit auch eine Rolle. Es kann aber auch der Respekt vor den Mitmenschen sein. Marc sagt: „Wenn es den Japanern nur im Ansatz schlecht ging, blieben sie von sich aus zu Hause. Außerdem hat jeder, bevor er zur Arbeit ging, die Temperatur gemessen. Wenn die Temperatur abwich, blieben sie zu Hause.“

Marc hat Japan im August 2020 verlassen. Seitdem musste Japan zum Jahreswechsel die schwierigste Zeit im Laufe der bisherigen Pandemie überstehen. Anfang Januar stieg die Inzidenz auf einen Höchststand von 35 Fällen bei 100.000 Einwohnern. Nach einer kurzen Entspannung der Fallzahlen steigen die Fälle im Land zuletzt wieder an. Ein Grund dafür ist, dass Japan über wenig Impfstoff verfügt. Anfang Mai haben erst zwei Prozent der Bevölkerung eine erste Impfung bekommen, in Deutschland sind es bereits 30 Prozent. Dennoch steigt langsam die Hoffnung, dass sich vielleicht schon im Herbst Abiturienten wie Marc wieder nach Japan aufmachen, um die japanische Kultur kennenzulernen.

3 Kommentare zu „Reisen während Corona: Großer Kulturunterschied zwischen Europa und Japan

  1. Ein sehr sehr interessanter Beitrag über eine Person die vorher nichts mit diesem Land zutun hatte und trotzdessen dort hin gereist ist und ohne vor Kenntnisse es geschafft hat dort zu leben.

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